Lebenszeichen
Die Piktogramme von Wolfgang Schmidt, der mehr als 30 Jahre lang Vitsœ’s Grafikdesigner war.
Worte und Fotos: Vitsœ
Wolfgang Schmidt (1929-1995) galt als chaotischer Student – auch wenn seine klaren und präzisen Entwürfe das Gegenteil bezeugen. Ein Freund aus der damaligen Zeit, Hans Hillmann, erinnert sich, dass Schmidt einen Winter lang seinen Mantel zuhalten musste, weil er alle Knöpfe verloren hatte: „Verblüffend für uns war, daß das Endergebnis, die fertige Graphik, die er uns dann zeigte, inklusive luxuriös breitem weißem Papierrand absolut makellos war, ohne ein Stäubchen, es sei denn, er hätte es dahin geplant.”
Während seines Studiums an der Kunstakademie Stuttgart in den 1950er Jahren war Schmidt vom Umgang mit Hell- und Dunkelschattierungen in den Linolschnitten und Stichen seines Professors Karl Rössling beeinflusst. Später lernte er in Kassel unter Hans Leistikow, Text und Bild zu setzen und bei Dieter Roth in Reykjavík den spielerischen Umgang mit Typographie.
In den 1960er Jahren begann Schmidt, für Niels Vitsœ zu arbeiten, kurz nach Gründung des Möbelunternehmens Vitsœ + Zapf. Er selbst beschrieb seine Aufgabe als die Entwicklung eines „Systems zur ganzheitlichen, prägnanten Gestaltung aller visuellen Äußerungen einer Institution mit dem Ziel, möglichst guter Kommunikation zwischen Sender und Empfänger.“ Das 1969 von ihm ausgehend von Adrian Frutigers Univers Font gestaltete Firmenlogo hat sich in über 50 Jahren nicht verändert. 1971 entwickelte er speziell für Vitsœ das Piktogramm ‘Hand und Fuß’ – in Kombination als augenzwinkernder Verweis auf die deutsche Redensart. Ein wesentlicher Teil von Vitsœs Identität in den 1970er Jahren.
Die Piktogramme unter dem Titel ‘Lebenszeichen’ hat Schmidt 1972 im Rahmen eines persönlichen Projekts entwickelt: „Zum Inhalt haben sie, wie gesagt, fast alles Menschenmögliche.“ Im vollen Bewusstsein der Unmöglichkeit seiner ambitionierten Aufgabe, machte er sich an die Arbeit. Den Gestaltungsprozess der Lebenszeichen beschreibt er als „Spiel, das strikten Regeln folgt.“ Er erdachte ein System basierend auf den Teilen des menschlichen Körpers, das über Verdoppelung und Wiederholung von Motiven die Entwicklung neuer Formen ermöglichte. Es entstanden 260 Piktogramme. Die Legende will es, dass er insgesamt 893 im Kopf hatte.
Tabus kannter er keine: Unter den Körperteilen sind neben Auge, Ohr, Mund, Hand und Herz auch Penis und Vagina abgebildet. Schmidt nutzte nur minimale Markierungen – in einer Handschrift, die selbst dem reserviertesten Betrachter ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Mark Adams, Geschäftsführer von Vitsœ, der seit 1985 mit Niels Vitsœ zusammenarbeitete, sieht in der Formensprache der Grafiken die Grundlage der Zusammenarbeit von Firmengründer Niels Vitsœ und Wolfgang Schmidt: „Niels und ich sind uns über unseren trockenen Humor nähergekommen – und ich bin sicher, die gleiche Verbindung gab es zwischen ihm und Schmidt. Die Grafiken bewegen sich am Rand dessen, was zur damaligen Zeit als akzeptabel galt. Unter dem strengen äußeren Erscheinungsbild versteckt sich ihr frecher, subversiver Charakter. Ihre Verspieltheit war ein willkommenes Gegengewicht zur Ernsthaftigkeit der sogenannten Designwelt.“
Schmidt interessierte sich für den Designprozess, nicht für die Verwirklichung einer persönlichen Vision: „Willkürliche Eingriffe zur Erreichung schöneren Aussehens sind verboten!“ lautete seine Devise, die subtil an das Ethos seines Arbeitgebers erinnert.
Fast drei Jahrzehnte arbeitete Schmidt als Grafiker für Vitsœ, bevor er sich 1987 aus der Öffentlichkeit zurückzog. 1995 wurde er für tot erklärt.