Ein einzigartiger Blick
Bob Greenberg sprach mit uns über technologische Innovationen von gestern und morgen.
Worte: Vitsœ
Fotos: Paul Warchol
Bob Greenbergs Lebensgefühl ist ‘Vernetzung’. Sein Büro in der New Yorker Zentrale der Digitalagentur R/GA – deren Gründer, Chairman und CEO Greenberg ist – besteht aus Glaswänden. Nur eine Schiebetür trennt ihn von seinem Team, das im weitläufigen Großraumbüro arbeitet.
Es ist rund 40 Jahre her, seit der erste ‘Superman’ in die Kinos kam. Die ikonische Titelsequenz des Films hat Greenberg schlagartig ins Rampenlicht katapultiert. Der Startschuss für eine lebenslange Karriere in der Gestaltung bahnbrechender Motion Graphics.
Jetzt tritt der bekennende Technologie-Fan als Gastkurator der jüngsten Ausgabe der ‘Selects’-Serie im Cooper Hewitt/Smithsonian Design Museum in New York in Erscheinung – eine Ausstellungsreihe, für die Designer, Künstler, Architekten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Objekte aus der Sammlung des Museums auswählen. Für seine Installation hat Greenberg 42 Werke zusammengestellt, die zeigen, wie Design und Technologie das moderne menschliche Leben geprägt haben.
Greenberg kichert, als wir nach dem Einfluss seiner Kindheit auf seinen heutigen Erfolg fragen: „Ich bin ein ganz gewöhnlicher jüdischer Kerl aus der Vorstadt von Chicago. Wir gehörten zur Mittelklasse – ich hatte nie besondere Pläne.“
„Meine Legasthenie allerdings hatte einen enormen Einfluss auf mein Leben. Ich habe sehr damit gekämpft. Meine Eltern dachten, ich wäre einfach ein langsames Kind mit Lernschwierigkeiten – also wurde ich aus dem normalen Schulunterricht genommen und stattdessen in Fördergruppen gesteckt. Wir wurden behandelt, als wären wir dumm. Dyslexie äußert sich bei Menschen ganz unterschiedlich: als Schwierigkeiten beim Lesen oder Rechnen, in Form von Orientierungsproblemen oder Sprachstörungen. Ich wusste nicht, dass ich Legastheniker war, bis ich im Alter von 35 Jahren einen Psychoanalytiker aufsuchte. Durch Zufall – und zum Glück – war sein Spezialgebiet Dyslexie. Da habe ich erst herausgefunden, was mit mir los war – und dass ich relativ gut damit zurechtkam. Heutzutage ist das Feld viel besser erforscht. Es gibt spezielle Tests und hilfreiche Computerprogramme.“
Greenberg erzählt, dass viele Designer bei R/GA leichte Formen von Dyslexie haben – besonders im Bereich User Experience: Hier ist Mustererkennung gefragt, die von Legasthenikern als alternative Methode zur Problemlösung angewendet hat. Wenn er jetzt, mit 70 Jahren, auf die Hindernisse zurückblickt, die er überwunden hat, sagt er: „Tatsächlich war es ein großer Vorteil für mich.“ Bremsen lassen hat er sich offensichtlich nicht: R/GA hat mittlerweile mehr als 2.000 Mitarbeiter in Büros auf der ganzen Welt.
Als weitere Einflussgröße aus seiner Jugend nennt er JD Salingers ‘The Catcher in the Rye’: „Für mich war es vor allem aufgrund der klaren Sprache ein interessantes Buch, das ich wieder und wieder las. Ich bewegte mich ja selbst mit einem beschränkten Vokabular durchs Leben, ähnlich wie Hemingway, den ich ebenfalls sehr bewundere. Als Legastheniker komme ich mit seinem Schreiben wunderbar zurecht, weil es einfach und klar ist. Diese Klarheit wiederum führte mich zu Werbetexten, zum Plakatdesign, zum Produktdesign. Überall geht es um Einfachheit. Für mich fühlte sie sich wie eine natürliche Passform an.“
Im Alter von 16 Jahren entdeckte Greenberg seine Leidenschaft für die Haushaltsgeräte von Dieter Rams. Fasziniert von Form, Funktionalität und dem Einsatz von Farbe, erinnert er sich liebevoll an ein bestimmtes Braun-Produkt: „Ich habe seine Sachen gesammelt, weil ich sie schön fand. Es ist allerdings ziemlich seltsam, wenn ein Teenager einen Fön kauft allein der Knöpfe wegen – ich war einfach verliebt in sie! Ich bin mir sicher, dass meine Mutter mich komisch fand.“
Der junge Bob war ebenso ein Verehrer von Mies van der Rohe und Philip Johnson, besonders der Glashäuser aus den 1950er Jahren. Spult man vor ins Jahr 2018, zeigt sich deutlich, dass seine Wertschätzung für gutes Design mehr als nur eine Jugendphase war, sondern eine lebenslange Obsession. Entschlossen, sein eigenes Glashaus zu bauen, beauftragte er den japanischen Architekten Toshiko Mori, ein Haus an einem entlegenen Ort am Rande eines dichten Walds im Norden von New York zu entwerfen.
„Es sind eigentlich vier kleine einstöckige Häuser und eine Garage, die miteinander verbunden sind“, erklärt Greenberg das System von Gebäuden. „Das Haupthaus ist rundum aus Glas, was leider bedeutet, dass wir keine Kunstwerke, Fotografien oder Ölgemälde aufhängen können, da sie das Licht nicht vertragen.“ Die Suche nach widerstandsfähigen, schönen Objekten, die den Sonnenstrahlen standhalten konnten, führte ihn zu einer der größten Sammlungen chinesischer buddhistischer Skulpturen aus der Qi und Wei Dynastie: „Nach Tausenden Jahren wurden sie aus der Erde gegraben und sehen noch immer großartig aus. Zeitlose Stücke, beinahe unberührt von den Elementen.“
Das Dilemma, die Liebe zu physischen Objekten mit dem Wunsch nach Einfachheit in Einklang zu bringen, erinnert Greenberg an ein Gespräch mit einem minimalistischen Architekten, der ihm verriet, dass die meisten seiner Kunden Stauraum für ihre Habseligkeiten anmieten müssten. „Es ist wirklich sehr schwierig, ein Minimalist zu sein“, räumt Greenberg ein. „Unsere Häuser sind nicht sehr groß. Drei haben etwa 90 qm, eines 110 qm – wir müssen also sehr sorgfältig über alles nachdenken, was wir in sie hineinstellen.“
„Ein so extrem minimalistisches und zugleich offenes Haus wie das unsere zu bauen ist noch komplexer, als man erwarten würde, weil man einfach alles sieht. Aber gerade weil es so schwer ist, schätzt man es mehr. Innovationen zu entwickeln und an Grenzen zu gehen, ist eine Menge Arbeit. Aber für mich ist es immer ein großer Spaß, neue Wege zu gehen.“
Greenberg weiß genau, dass Risikobereitschaft gefordert ist, wenn man Dinge erreichen möchte, die bleiben. Er ist niemand, der sich von den Zwängen heutiger Technologien abschrecken lässt. Im Gegenteil: sein Wissen um Innovationen der Vergangenheit inspiriert ihn zu immer neuen Wagnissen.
„Der Superman-Vorspann ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass Menschen besser arbeiten, wenn sie gezwungen sind, experimentell vorzugehen. Die Technologie, die wir entwickelt haben, war die gleiche, die Kubrick für ‘2001:Odyssee im Weltraum’ verwendete – aber weil wir das nicht wussten, mussten wir sie selbst erfinden. Es ging darum, neues Filmmaterial, neue Objektive und Computer zu entwickeln, die noch nie zuvor für Animationskameras oder optische Printer verwendet worden waren. Ich erinnere mich daran, wie wir alles in London zusammensetzten; Richard, mein Bruder, und Stuart Bell waren um 5 Uhr morgens fertig. Stuart erwischte gerade noch die Concorde, damit der Vorspann in den Film integriert werden konnte – sie hätten keine Minute mehr gehabt!“
Seine Ausstellung im Cooper Hewitt ist getragen vom Gedanken, die Fortschritte der Technologie zu begrüßen. Auch, weil es ihn wundert, dass ältere Generationen sie als Bedrohung wahrnehmen: „Ich denke, das große Problem ist, dass die Menschen sich heute nicht mehr relevant fühlen. Das macht sie wütend. Und mich wiederum sehr traurig.“
„Als Gesellschaft müssen wir Wege der Wissensvermittlung finden, damit die Menschen sich nicht durch Technologie ins Abseits gedrängt fühlen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es fahrerlose LKW und Autos gibt. Auch wenn das vielen zu schnell geht, wird diese Entwicklung exponentiell voranschreiten – und wir haben noch nicht einmal darüber gesprochen, was mit der Robotik passieren wird! Es gibt Roboter aus Japan, die Handtücher falten können, und die Leute lachen darüber. Wenn der Roboter aber ihren Job übernimmt, ist der Spaß vorbei.“
„Gleichzeitig ist das großartig für ältere Menschen, die nicht mehr mobil sind und das Licht ausschalten, den Fernsehkanal wechseln oder die Heizung aufdrehen müssen. Die Raffinesse ist unglaublich, die Produkte sind relativ preiswert – das ist die Zukunft!“
Seine lebenslange Wertschätzung von Industriedesign, Architektur und Bildhauerei – von Objekten, die über lange Zeiträume Gültigkeit gewahrt haben – führt dazu, dass die digitale Welt, die die moderne Kultur durchdringt, menschlicher erscheint, wenn man sie durch seine Augen betrachtet.
Greenbergs Auswahl für die Cooper Hewitt-Ausstellung ist in vier Kapitel gegliedert, von denen eins auf Dieter Rams’ Zehn Thesen für gutes Design beruht. Hierfür hat Greenberg 11 Objekte ausgewählt, die in seinen Augen Rams’ Prinzipien wie Nützlichkeit, Ehrlichkeit und Unaufdringlichkeit am besten verkörpern, u.a. der Braun HLD 4 Haartrockner (1970), der ET55 Taschenrechner (1980) und der AB 21 Wecker (1978).
‘Selects’ ist vom 23. Februar bis 9. September 2018 in der Nancy und Edwin Marks Collection Gallery im Cooper Hewitt/Smithsonian Design Museum, New York zu sehen. Wer die Schau nicht persönlich besuchen kann, dem empfehlen wir Greenbergs App, die durch die Ausstellung führt : Audio-Touren von Bob selbst und anderen Design-Experten, die über Objekte sprechen, die eine besondere Bedeutung für sie haben.
Als die Sonne unter- und im Großraumbüro das Licht angeht, bedankt sich Greenberg mit einem Lächeln für die willkommene Abwechslung und taucht wieder in den Trubel der R/GA-Agentur ein. Sein einzigartiger Blick wird anderswo gebraucht.