Ein Geburtstagsgeschenk für Dieter Rams
Ein Besuch unserer neuen Produktionsstätte und Firmenzentrale in Royal Leamington Spa
Worte: Mark Adams
Fotos: Greg Funnell
Wie allen Teenagern fiel es mir in meiner Jugend schwer, morgens aus dem Bett zu kommen. Also kaufte ich einen Wecker mit Schlummerfunktion. Und als die Haare an meinem Kinn zu wachsen begannen, kaufte ich einen schwarzen Rasierapparat. Beide suchte ich mir aus, weil sie gut funktionierten und gut aussahen.
Als Student besuchte ich eine Ausstellung im Victoria & Albert Museum. Sie hieß „Eye for Industry“ und zeigte die Arbeit der Royal Designers for Industry (RDI). Ich erwarb den feinen, schmalen Katalog, der bis heute in meinem Regal steht.
Später, als ich ein neues Inneneinrichtungsgeschäft im Londoner West End betrat und sah, wie dort ein Regalsystem an der Wand montiert wurde, ging mir ein Licht auf: Es war ein deutscher Designer namens Dieter Rams, der sowohl für meinen Rasierer und den Wecker als auch für dieses Regal verantwortlich war – und der (obwohl selbst kein Brite) als Ehrenmitglied zu den Royal Designers for Industry gehörte.
Die nächste Station war Frankfurt, wo mich – ein ehrgeiziger 25-Jähriger – Niels Vitsœ, der Gründer der Firma, die besagtes Regalsystem herstellte, mit Dieter Rams bekannt machte. Natürlich beachtete Rams mich kaum, aber ich erinnere mich noch an den Schauder, als er das Zimmer betrat.
Jahrzehnte später schreibe ich diese Zeilen anlässlich von Dieters 85. Geburtstag. In den dazwischen liegenden Jahren hat sich zwischen uns langsam, aber stetig, ein Vertrauen entwickelt, das ich – mir seiner Seltenheit bewusst – aufs höchste schätze.
Dieter ist vom Meilenstein seines Geburtstags sichtlich unbeeindruckt. Auf keinen Fall wünscht er sich Geschenke. Er braucht nicht noch mehr Objekte in seinem Leben.
Also entschied ich mich, ihn stattdessen einzuladen, mich zu Vitsœs neuem (Holz-)Gebäude nach Royal Leamington Spa im Herzen Englands zu begleiten. Sein erstes Urteil nach dem Eintreten lautete: „Es riecht gut.“
Bewaffnet mit seinem Gehstock, der ihm vor 40 Jahren von seiner Designerin Nanna Ditzel geschenkt wurde, schaute er sich sämtliche Details genau an. Wie ich es seit jeher kenne, nutzte er vor allem seine Hände, die jede Form und Oberfläche mit beinahe zärtlichen Berührungen erfassten. Besonders beeindruckten ihn die gefrästen Kanten des Buchenholzes.
Während ihm nur die wenigsten Menschen, denen er begegnet, im Gedächtnis bleiben, steht ihm sofort die Freude ins Gesicht geschrieben, wenn er ein Mitglied des Vitsœ-Teams wieder trifft, dessen geschickte Hände er beim letzten Besuch bewundert hat. Größtmögliche Anerkennung.
Umgekehrt habe ich ebenfalls gelernt, den Augenblick zu erkennen, in dem Frustration und Wut seine Gesichtszüge verhärten – fast immer als Folge eines Mangels an Sorgfalt und Professionalität, den er beobachtet. Schlecht vorbereitete Journalisten bekommen diese Verachtung sofort zu spüren.
Sobald wir Produkte und Menschen hinter uns lassen, wendet sich das Gespräch immer der einen Frage zu: „Mark, wie machen wir die Welt zu einem besseren Ort?“ Irgendwann erwähnt er die Quäker und ihre Philosophie – Vertrauen, Einfachheit und Integrität. Seit Jahren beschäftigt uns diese Aufgabenstellung. Inzwischen hat Dieter für ihre Lösung eine eigene Stiftung gegründet.
Beim Abendessen in einem Pub in Warwickshire stellt mein Gast fest, dass das Rindfleisch vom Metzger der Königin geliefert wird. Der überzeugte Fisch-Esser Dieter Rams entscheidet sich für das Filet-Steak, denn „gutes Fleisch findet man selten.“ Seine Wertschätzung für das makellose Gericht – und das begleitende Glas guten Rotweins – ist absolut.
Ich habe das Glück gehabt, mehr als 30 Jahre mit Dieter Rams zu arbeiten. Wenn wir auseinandergehen, habe ich oft zwei Gedanken im Kopf: Um tatsächliche Weltklasse zu erreichen, muss der Anspruch hoch sein. Und um den Anspruch hoch zu halten, muss man das ungeschriebene elfte Prinzip für gutes Design anwenden, das ich immer wieder bei Dieter Rams beobachtet habe: Unbeirrbarkeit.
Happy birthday, Dieter.