Farbe bekennen
Sophie Smallhorns bunte und bildschöne, kleine und große Kunstwerke

Eine Ecke in Sophies Atelier

Von: Kassia St Clair

Fotos: Ruth Ward

Wenn man Sophie Smallhorn trifft, wird man von einem Gefühl der Dissonanz zwischen Werk und Person ergriffen. Egal ob Skulpturen, Installationen oder Drucke – alle ihre Arbeiten sind souverän, gelassen, selbstsicher. Sophie wirkt jedoch alles andere als selbstbewusst. Auf die Frage eines Bankangestellten nach ihrem Beruf klang ihre Antwort – „Künstlerin“ – so verhalten, dass man sie fragte, ob sie eine andere Antwort geben wollte. Es fällt ihr schwer, vor einer Kommission zu stehen, Reden zu halten oder sich um neue Aufträge zu bewerben. Sie gibt zu, dass ihr manchmal die Worte fehlen, wenn sie über ihre Kunst spricht. Und dass das vielleicht damit zu tun hat, dass sie keine ausgebildete Künstlerin ist. Ihre Arbeit ist designorientiert und ihr Hintergrund ist das Handwerk.

Wenn sie über ihren Gestaltungsprozess spricht, verfliegt jedoch jegliche Unsicherheit. „Da bin ich ganz in meinem Element. Der Zustand, in den ich zurückkehre, wenn wieder Ruhe einkehrt und keine Projekte anstehen. Ich zweifle nie daran, dass ich Farben zusammenbringen und ein Werk schaffen kann“, sagt sie und klingt fast erschrocken über sich selbst.

„Assemblages“,
Bishopsgate, London

Auch wenn man ihren Namen vielleicht nicht ganz zuordnen kann; Sophies Arbeiten, die mit Farbe, Volumen und Proportion spielen, wirken vertraut. Sie ist seit den späten 1990ern als Künstlerin aktiv und ihre Werke wurden vielerorts ausgestellt: vom CASS Skulpturenpark in der Nähe von Goodwood in England bis zum Flagshipstore von Comme des Garçons in Tokio und Colette in Paris. Die Maßstäbe, in denen sie arbeitet, variieren allerdings enorm.

Im Jahr 2012 gestaltete sie in Zusammenarbeit mit den Architekten des Londoner Olympiastadions die Farbpalette für die Stoffbahnen der Fassadenverkleidung. Bekannter ist sie für ihre kleinen Siebdrucke und handgroßen Skulpturen, die wie Kompositionen aus kleinen, bunten Blöcken an der Wand befestigt sind. Ihre Drucke waren in mehreren Sommerausstellungen der Royal Academy zu sehen, und eine Skulptur aus pulverbeschichteten Aluminiumplatten zierte die Lobby des Londoner Bürohochhauses “100 Bishopsgate”. Arrangements ihrer bunten Streifen schmücken zwei Wände der U-Bahn-Station Canary Wharf.

Obwohl Sophies Atelier in einem Souterrain weiße Wände hat, hat man den Eindruck, dass der Raum vor Farbe nur so strahlt. Besonders auffällig sind die Rottöne: kalifornischer Mohn, Scharlach und Camino, ihr Lieblingsrot. Die Farben leuchten aus halbfertigen, an der Wand hängenden Arbeiten, sowie aus einer chromatischen Farbbibliothek, die sie aus Farbmustern und allen möglichen Gegenständen zusammengestellt hat. Die Farbbibliothek an der Wand ist praktisch, wenn sie ein neues Werk beginnt: Beim Durchstöbern der Sammlung legt sie verschiedene Muster zusammen und überlegt, welche Farben zusammenpassen. Es ist eine intuitive Arbeitsweise, die ihre Anfänge in Sophies Kindheit und frühen künstlerischen Praxis hat.

Sophie in ihrem Atelier

Sophie wuchs in Cambridge in England in einem einflussreichen, visuell geprägten Elternhaus auf. Ihr Vater war ein Industriedesigner und ihre Mutter entwarf Textilien - beide förderten ihre Kreativität. Sie besuchte die University of Brighton und absolvierte dort ein Studium in Möbeldesign, das wie eine Art erweiterter Grundkurs war, mit dem Titel „Holz, Metall, Plastik und Keramik“.

Nach dem Studium zog sie nach London und arbeitete als Tischlerin, hat aber immer aus Holzresten kleine Skulpturen geschaffen – eine Praxis, die sie schon an der Universität begonnen hatte. Die Skulpturen interessierten sie viel mehr als die Möbel selbst. „Es war so direkt. Ein Kontrast zu diesen großen, langwierigen Möbelprojekten – eine echte Erleichterung. Innerhalb nur eines einzigen Tages konnte ich etwas Fröhliches, Spielerisches erschaffen, ganz ohne Plan.“ Sophie veranstaltete eine Ausstellung in ihrer Wohnung, was zu einer Ausstellung in einem Kunstraum in Notting Hill führte und später zu einer Ausstellung in einer Galerie. „Das war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass jemand zu mir sagt: „Okay, das bist du.“ Das war eine Bestätigung.“

Unabhängig davon, ob es sich um ein Auftragswerk oder um eine freie Arbeit handelt, gibt sie sich selbst eine Reihe von Regeln oder Rahmenbedingungen vor. „Völlige Offenheit ist zu überwältigend, deshalb lege ich eine Grenze fest.“ Diese ‘Grenze’ kann ein sehr unlogisches Regelwerk sein, wie zum Beispiel, dass man nur an die Zwischenräume zwischen den Elementen denken darf und nicht an die Elemente selbst, oder dass man bestimmte Farben nicht verwenden darf. „Es ist eine kleine Einschränkung, die das Anfangen weniger… nun ja, weniger furchterregend macht.“ Gerne versucht sie, Camino Rot zu vermeiden, weil sie sich in ihrer Arbeit so sehr zu Rot- und Rosatönen hingezogen fühlt.

Kunstwerk: ’No.98’, bei Sophie zu Hause fotografiert

Kleinere Werke fotografiert Sophie oft bei sich zu Hause. „Wenn man die Arbeit aus dem Chaos des Ateliers herausnimmt und sie in einem häuslichen Kontext erlebt, sieht man plötzlich neue Dinge darin. Manchmal ist es auch schwierig, ein Gefühl für den Maßstab zu bekommen, wenn man das Werk nicht kennt. Deshalb ist es hilfreich und auf gewisse Art erdend, es neben einem Buch, Regal oder Stuhl fotografiert zu sehen. Meine Arbeiten haben einen besonderen Bezug zum Wohnumfeld. Daher ist es gut, sie in diesem Kontext zu betrachten.“

Kunstwerke: ’Brick 1’ und ’Brick 2’

Für Sophie sind verschiedene Farben unterschiedlich voluminös; manche scheinen physisch mehr oder weniger Raum einzunehmen als andere. Auch die assoziierten Gefühle von Wohlbefinden sind von Farbe zu Farbe unterschiedlich. Ihr Ziel ist, ein harmonisches Ganzes zu schaffen. „Es kann nicht nur um schöne Farben gehen, es muss auch etwas geben, das die anderen Elemente ein wenig stört. Ein gewisses Unbehagen muss da sein. Wie bei einer tollen Party: Man braucht einen Querschläger.“ Sie weiß immer genau, wann eine Arbeit fertig ist, wenn die perfekte Mischung aus Farbtönen und Schattierungen in den richtigen Proportionen gefunden wurde. „Das ist wunderbar. Ein Gefühl, dass die Dinge in diesem Moment genau so sind, wie sie sein sollten“, sagt sie. „Das klingt schon fast selbstbewusst, nicht wahr?“

Sophie Smallhorn – Arbeiten