Tonspuren
Musiker David Havard und Vitsœ-Planer Matthew Palmer im Gespräch über die harmonische Beziehung zwischen Musik, Design und einem Regalsystem

Von: Vitsœ

Fotos: Nic Kane

David Havard ist neben Katy Sargent und Luke Thornton der Dritte im Bunde des Indie-Electronik-Trios Elder Island aus Bristol. Er lebt im Künstlerviertel der Stadt, das wie eine Insel im Fluss Avon liegt. Die historische englische Hafenstadt ist bekannt für ihre Kunst- und Musikszene, die u.a. die Bands Portishead und Massive Attack sowie den Graffiti-Künstler Banksy hervorgebracht hat.

Matthew Palmer ist ein Planer bei Vitsœ und hat in den letzten vier Jahren eng mit David Havard zusammengearbeitet, um sein Regalsystem an die hohen, sich ständig ändernden Anforderungen des Lebens in der Musikindustrie anzupassen. Nach vielen Gesprächen am Telefon oder über Video und einigen Besuchen von David im Vitsœ-Geschäft in Leamington Spa, schien es für Matthew an der Zeit, David zu Hause und in seinem Studio zu besuchen. Schließlich hatte er dort im Laufe ihrer Planer-Kunden-Beziehung das Regalsystem 606 sechs Mal umgebaut und optimiert.

Als Matthew in Davids Wohnung ankam, begann er das Gespräch mit den Worten: „Auf Google Street View ist das hier immer noch eine Baustelle!“

David: Ja, ist es auch. Das letzte Gebäude an der Ecke wird noch gebaut – offiziell haben wir nicht mal eine Straße. Früher war hier ein altes Gefängnis, sogar mit einer Hinrichtungsstätte … die haben sie jetzt in einen schönen, beleuchteten Torbogen verwandelt. Aber ja, früher wurden dort Menschen gehängt.

Ich bin 2007 hierhergezogen. Meine Bandkollegin Katy habe ich an der Uni getroffen, und Luke – den ich kenne, seit wir drei Jahre alt sind – kam ein paar Semester später dazu. Bristol hat etwas Besonderes an sich. Wenn man über die Hängebrücke von Brunel in die Stadt fährt, macht es einfach einen großen visuellen Eindruck. Zu der Zeit war Bristol auch noch eine recht raue Stadt - wir sind zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

Matthew: Bristol ist immer noch ein bisschen rau.

D: Auf jeden Fall, aber in den letzten zehn Jahren hat sich viel getan. Die Stadt ist schnell gewachsen – auch auf eine gute Art. Obwohl sie größer geworden ist, hat sich ihr Charakter erhalten.

M: Bei unserem letzten Treffen in unserem Geschäft in Leamington Spa hast du erzählt, dass du früher historische Gebäude restauriert hast, und dass du den medialen Auftritt und die Lightshow der Band selbst gestaltest. Deine kreativen Interessen gehen also weit über die Musik hinaus.

D: In der Schule waren Kunst und Fotografie meine Lieblingsfächer. Musik war immer eine Leidenschaft und hat mir Spaß gemacht – wenn ich von der Schule nach Hause kam, habe ich Bassgitarre gespielt. An der Universität habe ich Grafikdesign studiert, Katy bildende Kunst und Luke Fotografie. Wir hatten also schon immer diesen kreativen Input. Als wir anfingen, haben wir uns nicht als Musiker gesehen. Wir waren einfach kreativ. Unsere Musik war nur eine der vielen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen. Bevor wir die ersten Songs veröffentlichten und die Sache eine Eigendynamik entwickelte, war nicht klar, dass die Band im Zentrum unserer Arbeit stehen würde.

M: Die Objekte auf dem Cover eures ersten Albums „Omnitone“ erinnern stark an die Entwürfe von Dieter Rams für Braun.

D: Ja, Dieter Rams war eine große Inspiration…

M: Ihr habt sogar Beschreibungen jedes einzelnen Objekts beigefügt.

D: Wir haben die Produktidee entwickelt, komplett mit Beschreibung für jedes Objekt in absolutem Fachjargon. Es war purer Quatsch - aber sehr glaubwürdig.

Ich habe mich damals sehr für alte HiFi-Geräte interessiert, sie repariert und die alten Anleitungen studiert. Ich wollte ein kleines Produktsystem entwickeln, und als ich die Braun-Geräte entdeckte, war ich begeistert. Am Anfang war es die Ästhetik, dieser unglaubliche Stil – das zeitlose Design, die Farbpalette, die Einfachheit. Und dann, als ich mich näher damit beschäftigte, verstand ich die Funktion, die Form und die Gestaltung. Bis dahin war mir nicht klar, welchen Einfluss Dieter Rams hatte.

M: Gab es dabei Parallelen zu deinem Verständnis von Musik?

D: Ja, Langlebigkeit ist mir sehr wichtig und ich versuche, Dinge nicht für den kurzfristigen Erfolg zu machen. Und Musik nicht super schnell zu veröffentlichen, nur weil ich es kann – es gibt da eine gewisse Wegwerfkultur in der Szene. Ich habe den Anspruch, etwas hundert Mal hören zu wollen, ohne dass es mich langweilt.

M: Wird dieser Rams’sche Ansatz vom Rest der Band geteilt?

D: Ja, von allen. Bei mir ist es am extremsten, aber Katy ist auch stark dabei.

Wir haben das Regalsystem 606 während unserer Recherche für das Albumcover entdeckt. Je mehr ich mich damit beschäftigte, umso mehr verstand ich, wie gut jedes Detail funktioniert. Und plötzlich sieht man es überall. Die ganzen Video-Interviews im Fernsehen während des Lockdowns – alle hatten es als Hintergrund. „Oh, noch ein 606, und hier ist schon wieder eins…“

Es wirkt so natürlich. Ich habe es wahrscheinlich schon oft in meinem Leben gesehen, ohne es überhaupt zu merken. In so vielen Räumen. Es ist eines dieser Dinge, die fast unsichtbar werden. Obwohl mein eigenes Regalsystem recht groß ist, liegt der Fokus nicht auf den Regalen, sondern darauf, was man damit macht.

M: Deines sieht jetzt ganz anders aus als die Konfiguration, die wir ursprünglich gemeinsam geplant haben.

D: Ich habe es schon so oft umgebaut. Meine letzte Bestellung war Anfang des Jahres, oder? Für einen zusätzlichen Schreibtisch, und um es an dieser Wand entlang zu erweitern.

Der Schreibtisch und die Lautsprecher waren ursprünglich im Zentrum angeordnet. Ich wollte hier die Wiedergaben anhören und dort drüben mein DJ-Pult haben, aber es war keine effiziente Lösung, sich ständig hin und her zu bewegen.

Jetzt haben wir es auf diese Seite verschoben und der Flow ist viel besser. Ich kann hier sitzen und alles ist am richtigen Platz.

Ich bin bereit, viel Zeit in den Prozess des Einrichtens und Anpassens zu investieren. Das macht mir Spaß, und es bedeutet, dass das Musikmachen und die kreative Arbeit am Ende viel effizienter sind.

M: Mir gefällt das Poster, das in der Mitte deines Regalsystems hängt. Ist es von dir?

D: Ich habe es nicht selbst gestaltet. Wir haben ein Konzert in San Francisco gegeben; ich glaube, es war unser zweites Mal dort. Es gibt einen Veranstaltungsort namens The Fillmore, ein ziemlich großer Laden. Grateful Dead und Hendrix haben dort gespielt. Er ist wie ein Museum für Poster – sie hängen überall, an allen Wänden. Und wenn man eine ausverkaufte Show hat, machen sie dir ein eigenes Poster für den Abend. Als wir ankamen, lag da ein großer Stapel – richtig viele. „Oh wow, wie toll. Das fühlt sich echt gut an.“

M: Und eines behältst du auch selbst?

D: Ja, eines wird irgendwo aufgehängt, wenn sie einen freien Platz an der Wand finden können. Unseres hängt ganz oben in einer Ecke.

M: Was ist das für eine Ausrüstung hier auf den Regalen?

D: Es ist eine Kombination aus analogen Synthesizern, digitalen Drum Computern und Sequenzern – alles Komponenten unserer Live-Performance-Ausrüstung.

M: Das ist eine ungewöhnliche Nutzung der 606-Schubladen. Ist alles verkabelt?

D: Ja, das hier ist ein echtes Arbeitsgerät: ein Syntakt-Drumcomputer. Passt perfekt in die Schublade!

M: Ich habe das Gefühl, dass es bei Elder Island eine starke Do-it-yourself-Ethik gibt. Ihr baut alles selbst, von Synthesizern und Gitarren-Effektpedalen bis hin zu Beleuchtungsanlagen für eure Tourneen. Habt ihr eine Ausbildung in diesem Bereich?

D: Nicht wirklich. Im letzten Jahr an der Uni mussten wir ein persönliches Projekt entwickeln. Ich war damals schon auf der Musikschiene und habe aus einem Pappkarton einen Plattenspieler gebastelt. Dafür musste ich die Grundlagen der Elektronik lernen. Die Erfahrung, etwas mit Elektrizität zum Laufen zu bringen, war unglaublich spannend. Das hat mich auf diesen Weg gebracht.

Nach dem Studium arbeitete ich ein Jahr lang als Postbote, um genug Geld zu verdienen, so dass ich das nächste Jahr damit verbringen konnte, mir die Grundlagen der Elektronik und die Funktionsweise dieser Geräte selbst beizubringen. Damals war es noch billiger, die Geräte selbst zu bauen, als sie fertig zu kaufen.

Und wenn man erst einmal weiß, wie es funktioniert – ich komme ja aus dem Designbereich –, dann wird einem klar, dass vieles davon nur die Benutzeroberfläche ist, buchstäblich das grafische Layout. Wenn man das hinter sich lässt, wird alles viel einfacher. Deshalb ist der visuelle Aspekt für mich so faszinierend. Es reicht nicht, wenn es gut klingt – es muss auch gut aussehen.

David und Matthew setzten ihr Gespräch beim Mittagessen in einem Café am Hafen fort. Danach besuchten sie das Musikstudio von Elder Island, wo David Matthew die Geräte, Mischpulte und die Elektronikwerkstatt im hinteren Teil des Studios zeigte.

Für Matthew war es bereichernd, Davids Enthusiasmus und Leidenschaft für seine Arbeit zu erleben und seine kreativen Fähigkeiten zu sehen. Seine offensichtliche Freude am Tüfteln ist ansteckend. Im Vitsœ-Geschäft in Leamington Spa nehmen nun die „Omnitone Collection“ und „Elder Island EP“ der Band einen Ehrenplatz im Regal ein.

Elder Island