Hat irgendjemand zugehört?
Dieter Rams und Mark Adams im Gespräch anlässlich der Eröffnung des neuen Shops von Vitsœ in der 21 Marylebone Lane, London
Worte: Mark Adams & Dieter Rams
Fotos: Olivier Hess
Von Mark Adams, Geschäftsführer
Wir haben nur vier Wochen gebraucht, um diesen Raum von „furchtbar“ in „halbwegs achtbar“ zu verwandeln. Wir haben all unsere Möbel sowie Beleuchtung und Ausstattung von unserem vorherigen Standort in der Duke Street hierher umgezogen. Dorthin hatten wir all das schon aus der 72 Wigmore Street mitgenommen. Sogar das Spülbecken ist zweimal umgezogen.
Wir haben längere H-Profile für unser Regalsystem 606 hinzugefügt – aber an ihnen hängen dieselben Schienen, Regale und Schränke wie zuvor. Unser Sofa hat neuerdings ein paar zusätzliche Sitzplätze. Unsere Familie ist gewachsen, unser Zuhause hat sich vergrößert.
Auch unser jetziger Mietvertrag verheißt, dass wir möglicherweise relativ bald umziehen müssen. Aber da wir Vitsœ sind, werden wir eben alles zusammenpacken und mitnehmen. Wie immer – klein anfangen, ergänzen, neu arrangieren und mitnehmen bei jedem Umzug. Und wie immer war es unser vielseitig talentiertes Vitsœ-Team, das die Ärmel hochgekrempelt hat, um mit Leidenschaft und Elan den Umzug über die Bühne zu bringen. Ich danke es ihnen herzlich.
Von Dieter Rams
Das Wort Design ist in den letzten Jahren inflationär geworden. Jeder versteht etwas anderes darunter. Ich wehre mich gegen den englischen Begriff, weil ich ihn nicht treffend finde. Das Wort Design wird für einige fürchterliche Dinge verwendet – es wird aufgeblasen. Ersetzen wir es also durch das deutsche Wort Gestaltung. „Kindergarten“ ist heutzutage eine gängige englische Vokabel, warum nicht auch „Gestaltung“? Denn Design als Begriff und Definition ist heute inflationär und wird häufig falsch angewendet. Vitsœ war von den Anfängen in den 1950er Jahren ein Synonym für gute, klare und nützliche Gestaltung, für Gestaltung, die sowohl das verwendete Material als auch die Konsequenzen für die Umwelt bedenkt.
Gestaltung bedeutet vor allem: beobachten, denken und verstehen. Bis heute ist Gestaltung eng verknüpft mit dem römischen Architekten, Philosophen und Ingenieur Marcus Vitruvius Pollio – Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr.). Er forderte drei Grundprinzipien für gute Gestaltung, die auch noch für die heutige Zweite Moderne gelten: Firmitas (Beständigkeit) – Utilitas (Nützlichkeit) – Venustas (Schönheit).
Diese Grundprinzipien bilden zusammen mit unserem aktuellen Wissensstand auf den Gebieten der Technik, Ergonomie, Soziologie, Ökologie, Psychologie und Philosophie und unter Einfluss der drei verschiedenen Dimensionen die neue funktionale Gestaltung. Natürlich kann ein einzelner Gestalter diese Aspekte nicht allesamt allein beherrschen. Vielmehr verlangt diese Definition einen inter- und multidisziplinären Arbeitsprozess, in welchem der Gestalter die Rolle des Moderators übernimmt.
Und so müssen wir, die Gestalter, nicht mehr über Design Thinking, Experience Design, Usability Design, Participative Design oder Eco Design sprechen, weil all dies im Prozess der Gestaltung enthalten war und ist. Herzlichen Glückwunsch zu 60 Jahren Vitsœ und vielen Dank, Mark und Jennie. Es war und ist mir ein Vergnügen, mit euch zusammenzuarbeiten.
Von Mark Adams
Vor rund zehn Jahren saßen Dieter Rams und ich in einem seiner Lieblingsentwürfe – einem schwarzen Taxi. Wir diskutierten ernst über die fünf Jahrzehnte, die seine Karriere inzwischen dauerte. Dieter fixierte mich mit stählernen Augen: „Aber, Mark, hat irgendjemand zugehört?“
Einer der Gründe, warum Dieter Rams sich bereit erklärte, den Dokumentarfilm „Rams“ mit Gary Hustwit zu drehen, war, dass dieser Film dazu beitragen könnte, mehr Leute zu erreichen, die nicht zugehört hatten. Aber – genau 60 Jahre nach der Gründung von Vitsœ im September 1959 – zuhören bei was?
Wir leben in kritischen Zeiten:
die Hitze,
die Kälte,
der Regen,
die Dürre,
die Waldbrände,
die Ausdehnung der Wüsten,
das Korallensterben,
die zerstörerischen Hurrikane,
die schwindende Arktis,
die schwindenden Gletscher,
die schwindenden Vögel,
die schwindenden Insekten.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wir uns inmitten des sechsten großen Aussterbens oder, wie der Umweltschützer George Monbiot letzte Woche der Zeitung The Guardian sagte, „der ersten großen Vernichtung“ befinden. Vor genau 60 Jahren erklärte der Physiker Edward Teller dem American Petroleum Institute, dass ein Anstieg des CO2 in der Atmosphäre um 10 % ausreichen würde, um die Eiskappen zu schmelzen und New York zu überfluten. Diese Woche hat das Hawaii-Observatorium, das seit genau 60 Jahren das atmosphärische CO2 misst, einen Anstieg von 29,5 % verzeichnet.
1976 hielt Dieter Rams eine Rede in New York mit dem Titel “Design by Vitsœ”. Er sprach von intelligenter Problemlösung, die jegliche Verschwendung vermeidet, von durchdachtem Design – für intelligente und verantwortungsbewusste Nutzer, nicht für Verbraucher. Ich zitiere:
„Ich glaube, unsere jetzige Situation wird zukünftige Generationen erschaudern lassen angesichts der Gedankenlosigkeit, mit der wir heute unsere Häuser, Städte und unsere Landschaft mit einem Chaos aus allerlei Schrott füllen … Die Zeiten gedankenloser Gestaltung, die nur in Zeiten gedankenloser Produktion und gedankenlosem Konsums gedeihen kann, sind vorbei. Wir können uns keine Gedankenlosigkeit mehr leisten.“ Er schloss: „In der Tat könnte der Zusammenbruch des gesamten Systems bevorstehen.“
Das war 1976 – vor 43 Jahren. In der Tat: Hat irgendjemand zugehört?
Unser Gründer war der charmante, höfliche Däne Niels Vitsœ. Ich hatte das Glück, zehn Jahre mit ihm zu haben, bevor er uns 1995 verließ. Ich vermute, er wäre stolz darauf, zu sehen, wie sein Unternehmen gewachsen ist und mittlerweile 70 % seiner Produktion in 70 Länder exportiert, den größten Teil nach Amerika. Als Dieter und ich über das bevorstehende 60-jährige Jubiläum von Vitsœ sprachen, sagte er: „Es war hart. Es war hart für Niels, es war hart für dich.“
Warum war es hart? Weil Vitsœ hartnäckig an seinem Prinzip festgehalten hat, mehr Menschen weniger Möbel zu verkaufen. Möbel, die neu angeordnet, repariert oder neu gepolstert werden können. Möbel, die Sie mitnehmen, wenn Sie umziehen. Möbel, die nicht durch neuere Modelle ersetzt werden, um den Absatz zu steigern. Möbel, die unsere Kunden in ihr Testament aufnehmen. Ganz einfach, indem wir uns darauf konzentrieren, es besser zu machen, statt auf die Besessenheit der Menschen von Neuartigem zu spekulieren.
Wie wird die Geschichte den Aufstieg eines 16-jährigen schwedischen Mädchens mit Asperger-Syndrom zu weltweitem Ruhm beurteilen? Haben Sie die Hassbotschaften gelesen, mit denen auf Greta Thunbergs Posts in sozialen Medien reagiert wird? Auf die sie antwortet: „Mich leitet die Wissenschaft.” Ich bin Wissenschaftler und unterschreibe bisher jedes Wort, das ich von ihr gelesen habe. Aber ich vermute, sie hat das Gefühl, dass es hart ist.
Oder Extinction Rebellion. Ich zitiere aus ihrem Handbuch: „Konventionelle Kampagnen haben die notwendigen Veränderungen nicht herbeigeführt. Seit 60 Jahren hat die Welt nichts getan.” Und weil niemand zugehört hat, wurden sie zu gewaltfreiem zivilen Ungehorsam gezwungen, geleitet von einem strengen Regelwerk – inspiriert von Mahatma Gandhi und seinem Kampf gegen die Macht des British Empire, basierend auf seinem „Beharren auf der Wahrheit“. (Es sei erwähnt, dass viele erfolgreiche Kampagnen zivilen Ungehorsams von charismatischen Personen angeführt wurden. Denken Sie nur an die Suffragetten.)
Die Botschaft von Extinction Rebellion lautet: Sagt die Wahrheit, verbreitet die Wahrheit. Wie einer meiner Kollegen, der letzte Woche Urlaub von Vitsœ genommen hatte, um XR zu unterstützen, sagte: „Entweder Aussterben oder Rebellion.“ Nach immer härterem Eingreifen von Seiten der Polizei nehme ich an, dass auch XR denkt: Es ist hart.
Im „Rams“-Film wird Dieter nach seiner Sicht auf Elektroautos gefragt. Er sagt, dass er von der Technologie unbeeindruckt sei, weil wir das gesamte Transportsystem überdenken müssen. Aber es ist nicht allein das Transportsystem – es scheint völlig klar, dass sich das gesamte System ändern muss.
Ich vermute, diese Veränderung muss von Grund auf geschehen. Ich vermute, dass die bestehende Ordnung bedroht ist. Aber das ist eine andere Diskussion …
Die Frage, die wir alle hören, lautet letztlich: „Was kann ich tun?“ Wir können alle weniger tun, aber besser. Probieren Sie es aus, bevor Sie eine Entscheidung treffen.
Die Zeitschrift Country Life warb kürzlich für die bei uns seit langem geltende Familienpolitik, weniger, aber besseres Fleisch zu essen. (Der Wissenschaftler in mir weiß, dass die Lösung nicht so einfach ist wie Veganismus für alle oder Elektroautos für alle.)
Kaufen Sie ein Paar gute, langlebige Schuhe, die man reparieren kann. Trinken Sie ein Glas guten Wein statt eine Flasche billigeren Wein.
Wir müssen unser Leben verlangsamen. Wir müssen weniger reisen. Wir müssen nach den wenigen Gegenständen und Erfahrungen suchen, die wirklich erfüllend sind. Wir müssen dieses Prinzip in unserem persönlichen Leben anwenden. Und wir müssen es überall dort anwenden, wo wir Einfluss auf unser Arbeitsleben haben …
Dieter, ich hoffe wir können dich davon überzeugen, dass wir zugehört haben.