Von Musik und anderen wichtigen Dingen des Lebens
Ein fein komponiertes Zuhause.
Worte: Jane Audas
Fotos: Anton Rodriguez
John Harris und Camilla Nicholls sind zu Ostern in ihre Mietwohnung in Barbican im Herzen der City of London eingezogen. Schon jetzt fühlt sie sich selbstverständlich wie ein Zuhause an. Ihr Umzug – und die Einrichtung der Wohnung – wurden durch die Umstände beschleunigt.
Barbican-Wohnungen sind zweifellos etwas Besonderes. Die Architektur des gesamten Anwesens ist von ausgesuchtem Geschmack. Kompromisslos, ungewöhnlich und nach manchem Empfinden vielleicht etwas brutal. Camilla lebt hier seit fast 20 Jahren. Es passt zu ihr. Als sie und John nach ihrem ersten gemeinsamen Zuhause suchten (er zog aus Brighton her, wo er viele Jahre gelebt hatte), beschlossen sie, in eine neue Wohnung zu ziehen: „Wir wollten ein unbeschriebenes Blatt. Andernfalls wäre John in meine Wohnung und meinen Lebensstil hineingezwängt worden, und das fühlte sich nicht richtig an.“
Camilla arbeitet als Psychotherapeutin. John war ebenfalls in der Ausbildung zum Therapeuten, aber die Dinge änderten sich, als bei ihm Ende 2019 eine Motoneuron-Erkrankung (MND) diagnostiziert wurde. Inzwischen ist er aus gesundheitlichen Gründen im Ruhestand, nachdem er zuvor als Unternehmensberater im Bildungsbereich und als semiprofessioneller Jazzmusiker arbeitete, bevor er mit der Umschulung auf Psychotherapie begann. Eine „große, große Schande“ sei es gewesen, dass seine MND ihn zum Aufhören gezwungen habe. Er schreibt jetzt. Darüber, wie er an diesen Punkt in seinem Leben gekommen ist. Über die Erfahrungen, die er gerade macht.
John und Camilla hatten eine sehr detaillierte Skizze von ihrem erdachten Regalsystem angefertigt. Komplett eingeräumt, mit Pflanzen zwischen den Büchern, so wie sie in fertigen Regalen stehen. Damit suchten sie den Vitsœ Shop in der Marylebone Lane auf, um sich die Möbel in Anwendung anzusehen und den Entwurf fertigzustellen. Im Austausch entstanden doch noch einige Änderungen im Hinblick auf Johns Mobilität.
Für die Fernsehwand wurde ein Kasten mit einschiebbarer Klappe (die John möglicherweise nur schwer hätte greifen können) gegen einen mit herunterklappbarer Tür ausgetauscht. Über der Vinylsammlung beherbergt ein umgedrehtes 36 cm-Tablar nun nicht nur den Plattenteller, sondern bietet John eine nützliche Kante, die er beim Auflegen von Schallplatten greifen kann. Die Reihe der Kästen mit Schubladen an der gegenüberliegenden Wand funktioniert bestens, da die Öffnung an der Unterseite das Auf- und Zuschieben für John erleichtert. „Wir wussten, dass Johns Zustand sich weiterentwickeln würde, und es war uns sehr wichtig, dass das Regalsystem uns dauerhaft nutzen würde. Die Dinge auf der richtigen Höhe zu haben und ein System, das wirklich solide war und nicht wackeln würde, wenn John sich darauf stützte – das waren unsere Themen im Gespräch mit den Vitsœ-Planern Alistair und Robin. Wir wussten auch, wie wichtig Musik und Fernsehen für uns sein würden, und wollten sie auf etwas platzieren, das nicht nur ihnen einen festen Halt bietet, sondern auch uns.“
Die Regale in Johns und Camillas Wohnung sind sehr präsent. Die langgezogenen und niedrigen Proportionen der Barbican-Wohnungen scheinen wie maßgeschneidert für sie zu sein. Im System von John und Camilla gibt es Lücken für Kunst, hier runden Hängepflanzen runden eine Ecke ab, während sich dort kleinere Pflanzen in eleganter zeitgenössischer Keramik entlang der oberen Tablare reihen. Die Bepflanzung setzt sich draußen fortgesetzt, wo eine „Balkonwiese“ über die gesamte Breite ein bewegtes Bild liefert, das genau auf der richtigen Höhe positioniert ist, um die schwirrenden Gräser und Blumen bequem vom Sofa aus zu beobachten. Die Pflanzen werfen außerdem ein eindrucksvolles Schattenspiel durch das große Glasfenster im Schlafzimmer. Vom Balkon aus bieten sich beeindruckende Blicke auf die 88 Wood Street, entworfen vom Architekturbüro Richard Rogers Partnership, die im momentanen Lockdown eine gruselige Stille umgibt.
John und Camilla haben natürlich auch Bücher in ihren Regalen, aber die Bücher wechseln. John hat einige alte Lieblinge wieder gelesen – ein wahrer Genuss, sagt er. In den Regalen befinden sich außerdem Teile von Johns Schallplattensammlung, ordentlich in durchsichtigen Plastikhüllen aufbewahrt, um die Cover zu schützen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass hier ein Audiophiler zuhause ist. Der Rega Plattenspieler wartet mit seiner leuchtend gelben Plattentellerauflage fröhlich strahlend auf seinen Einsatz. Sie genießen das gemeinsame Musik hören – sehr. Von Michael Kiwanuka und Brittany Howard bis zu Billie Holiday und Brad Mehldau. „Morgens legt John oft Songs in the Key of Life von Stevie Wonder auf. Ein guter Start in den Tag, besonders wenn es sonnig ist.“ Zudem haben beide eine Obsession für skandinavische Noir-Fernsehserien entwickelt und erfreuen sich an Verbrechen und Strafe, gedreht an wunderschönen Orten. Auch französisches Noir-Fernsehen gefällt ihnen. Eigentlich fast sämtliches Noir-Fernsehen.
Obwohl sich John und Camilla im romantischen Sinne erst relativ spät im Leben gefunden haben, kennen sie sich schon viel länger. Sie trafen sich zum ersten Mal Ende der 1970er Jahre, als sie zusammen am College ihren Bachelor in englischer Literatur und europäischer Ideengeschichte und Literatur machten. Im Laufe der Jahre blieben sie über Weihnachtskarten in Kontakt. Als eine auffällige Andy Warhol-Karte auffällig spät Ende Februar eintraf, weckte sie Camillas Interesse. John lebte als Witwer mit vier Kindern in Brighton, und dort haben sie eines Nachmittags bei viel gutem Essen und Gespräch wieder zueinander gefunden. „Und wir genießen beides seither sehr.” 2017 haben sie geheiratet.
Als es darum ging, einen dauerhaften Ort für ihr Zusammenleben zu finden, bot sich das Barbican sofort an. Die Wohnungen sind gut zugänglich, sagt John, er kann sich auf dem Anwesen mit seinen diversen Aufzügen und abfallenden Gehwegen gut bewegen. Sie „taten, was sie konnten“, um für John einen ansprechend aussehenden Rollator und einen Rollstuhl für längere Spaziergänge zu finden. Das skandinavische barrierefreie Design stellte die gesamte Konkurrenz in den Schatten.
Farben sind in ihrer Wohnung sehr wichtig. Die Palette ist von einem Kunstwerk von Michael Stokoe inspiriert, das bei ihnen hängt. „Zu unserem Hochzeitstag haben wir im George Hotel in Rye übernachtet. Es gab dort einige von Michaels Werken und wir haben sie geliebt. Also habe ich eins aufgespürt und es John geschenkt“, erzählt Camilla. Es ist eine abstrakte Komposition aus Quadraten und Kreisen: „Wir haben die Farben für unsere Wohnung übernommen”, sagt John. „Wir wollten, dass es wirklich warm ist. Ich trage oft Blau, das Blau im Bild steht also für uns. Nach den restlichen Farben haben wir die Möbel ausgesucht.“ Sie sind offensichtlich begeistert davon, wie ihre Regale die ausgesuchte Farbgebung unterstützen. Wie Camilla erläutert: „Das System an sich ist sehr schön, attraktiv. Aber es ist kein lautes Möbel.“
Die meisten anderen Möbel sind skandinavisch; ausgewählt wegen ihrer Wärme, Textur und – wo sie gepolstert sind – wegen ihrer Farbe. Es gibt einen waldgrünen Swedese Lamino Chair, der aus Johns Haus in Brighton stammt. Unter dem Fernseher nimmt eine Reihe bunter Muuto-Körbe die Farbe des Plattentellers auf, dessen Gelb wiederum vom Stokoe-Gemälde inspiriert ist. Es gibt ein paar Muuto Leaf-Leuchten, auch in Stokoe-Farben, die ideal sind, weil „der Schalter für John so einfach ist“. Das britische Design ist durch ein Ercol-Sofa vertreten (mit Eleanor Pritchard-Decken) sowie einen Esstisch und Stühle aus Sperrholz von Unto This Last, die beide gut mit den skandinavischen Möbeln harmonieren.
Es gibt nicht mehr viel Arbeit oder Käufe für die Wohnung zu erledigen. Ein Druck von Wolfgang Tillmans (eine „Belohnung“, die sie nach einer Spende an die Prospect Cottage-Kunstkampagne erhalten haben) kam mit äußerst detaillierten Anweisungen für die Rahmung, sodass dieses als nächstes an die Wand wandern wird. Die kleineren Dinge, die sich von Tag zu Tag ändern, sind Johns Duftkollektionen: „Abgesehen von der MND bin ich gesund und glücklich. Meine Sinne sind alle intakt und so haben wir viele duftende Dinge in der Wohnung.“ Eukalyptuskerzen sind ein Favorit, ebenso wie ein Zitronen-Parfum, das John an die Zeit erinnert, als er mehrere Jahre in Istanbul lebte und arbeitete, wo Zitrone ihn als ein herrlicher, allgegenwärtiger Geruch umgab. Auch die Texturen der Dinge sind für John wichtig. Vom glatten Gummiboden in der gesamten Wohnung (weniger Stolpern) bis zu den farblich auf Stokoe abgestimmten Wollpolstern. Auch die Keramik ist strukturiert, entweder in der Glasur oder den Oberflächenmustern.
„Auf kleinem Raum wird alles wichtig”, sagt Camilla und schaut sich alle Möbel, Einrichtungsgegenstände an, die sie und John sorgfältig zusammen ausgewählt haben. Die eigene Umgebung – die Dinge, die man berührt, riecht, auf denen man sitzt oder aus denen man Tee trinkt – gewinnt noch einmal an Bedeutung, wenn das Leben, aus welchem Grund auch immer, weniger nach außen orientiert ist. Eine Erfahrung, mit der sich alle während des Lockdowns auf die ein oder andere Weise befasst haben. Camilla überlegt: „Wir hatten erwartet, dass unser Leben enger wird, und wir wollten, dass unsere Wohnung schön und angenehm ist. Vitsœ war einfach perfekt für uns, es wurde zum Rückgrat für alles andere, was wir hier gestaltet haben.“ Die beruhigende, farbenfrohe, komfortable und köstlich riechende Wohnung ist zu Johns und Camillas Rückzugsort geworden, während sie mit Johns Krankheit umgehen und ihre gemeinsame Zeit schätzen lernen. Vor allem haben sie ihr Zuhause mit Liebe ausgestattet; sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne.