Gut Ding will Weile haben
Europäische Designprinzipien am anderen Ende der Welt
Von: Leanne Cloudsdale
Fotos: Jessica Lindsay and James Grose
Für James Grose ist das Sprichwort „Gut Ding will Weile haben“ zur Lebenseinstellung geworden. Der Architekt und Kunststudent lebt mit seiner Frau Nicola in einem selbst entworfenen Haus im Süden von Sydney in Australien, umgeben von Stränden und einem Nationalpark. Der bekennende Modernist nahm auf seinem Bildungsweg viele Irrungen und Wirrungen in Kauf, bevor er nach seiner Pensionierung (endlich) an einer Kunsthochschule landete. Lachend gesteht er: „Im Alter von 17 Jahren erklärte ich meinem Vater, dass ich Künstler werden will. Er beantwortete es mir damit, dass ich mir erst einen „richtigen“ Job suchen müsse. Nach 50 Jahren Berufstätigkeit studiere ich nun also wieder! Ich genieße die Vorlesungen über Kunstgeschichte und lerne, abstrakter zu zeichnen und mich von den Zwängen der Pragmatismus, die mein Beruf als Architekt erforderte, zu befreien.“
Anstatt auf dem schnellsten Weg eine Karriere als Architekt anzustreben, machte James einige Umwege. „Nach meinem ersten Abschluss (in Architektur) interessierte ich mich mehr für Produktdesign und erhielt 1977 ein Stipendium an der Konstindustriskolan – dem Institut für Design und Kunsthandwerk an der Universität Göteborg. Nachdem ich einige Jahre zuvor eine Reise nach Schweden unternommen hatte, war ich sehr interessiert daran, länger in dem Land zu leben. Ich war fasziniert von dem skandinavischen Sinn für Design, der alles zu durchdringen schien. Es war die Hochzeit der schwedischen Sozialdemokratie und man hatte wirklich das Gefühl, in einer sehr egalitären, gerechten Gesellschaft zu leben. Das war eine großartige Erfahrung für mich.
Nach dem Kurs kehrte ich nach Australien zurück und stellte schnell fest, dass es dort im Bereich Industriedesign nur sehr wenige berufliche Möglichkeiten gab. Der einfachste Weg, als Industriedesigner Fuß zu fassen, schien über das Grafikdesign zu laufen. Ich arbeitete also einige Jahre lang als Grafiker, wobei ich mich auf Leitsysteme und Markendesign spezialisierte. Die Zusammenarbeit mit Architekten war ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich entwickelte Grafiken für Gebäude und gestaltete Architekturpublikationen, was meine Leidenschaft für die Architektur wieder neu entfachte. Letztendlich kehrte ich an die Universität von Sydney zurück, um den letzten Teil meines Architekturstudiums zu absolvieren. Im Jahr 1985 machte ich meinen Abschluss.“
Eine zufällige Begegnung mit einem Taschenrechner von Braun, den er 1980 im MOMA-Shop in New York kaufte, eröffnete James eine völlig neue Art des Denkens. Er nahm ihn mit nach Australien und begann, sich in die Welt des funktionalen Designs zu vertiefen. Es war nicht leicht, seine Liebe für diese, wie er sie nennt „europäische Ästhetik“ zu auszuleben. Er lebte in einem Land, das sehr weit weg war von den modernistischen Einflüssen, die ihn so inspirierten. Die Entfernung führte dazu, dass er ständig das Gefühl hatte, etwas zu verpassen.
Heute sagt er über die Herausforderungen dieser Zeit: „Es war sehr frustrierend, einen Sinn für Ästhetik zu haben, der auf dem kulturellen Kontext eines ganz anderen Erdteils basierte. Heutzutage ist „Design“ viel internationaler; es gibt eine einheitliche Designsprache, die dank des technischen Fortschritts so gut wie überall verfügbar ist. Und mit der Ausweitung der Designberufe gibt es jetzt auch eine größere Auswahl an guten Produkten, die in Australien entworfen und hergestellt werden. Die besten Produkte aus Europa sind in der Regel etwas schwieriger zu beschaffen – aber die Mühe lohnt sich immer! Vitsœ ist ein solches Beispiel. Die Möbel von Vitsœ haben einen ganz besonderen Status in der Welt des Designs. Durch ihr außergewöhnliches Erbe und den unermüdlichen Innovationsdrang des Unternehmens gelten sie als sehr exklusiv.“
James ist seit vielen Jahren Kunde von Vitsœ und hat sein Regalsystem nun in seinem Atelier installiert. Es ist ein freistehender Anbau, der mit lichtdurchlässigen Paneelen verkleidet ist, um die einfallenden Sonnenstrahlen zu streuen. Mit hohen Decken, australischen Holzböden und Türen, die sich auf beiden Seiten vollständig öffnen lassen, „fühlt es sich in den Sommermonaten an, als wären das Atelier und der Garten ein einziger Raum“, erklärt er. „Nicola und ich haben mit einem jungen Architekten, Matthew Woodward, zusammengearbeitet, um ein Gebäude zu entwerfen, das den funktionalen, modernistischen Prinzipien folgt, von denen ich gesprochen habe.“
Er deutet auf die Tür und sagt: „Sogar die Griffe sind europäisch! Praktisch alles im Haus ist europäischer Herkunft. Wir haben die Lieferfristen sorgfältig geplant, weil wir wissen, dass die Vorlaufzeit drei bis sechs Monate beträgt. Die Wartezeit ist Teil des Prozesses, vor allem, wenn die Produkte auf dem Seeweg geliefert werden. Man muss eine gute Beziehung zu seinem Ansprechpartner oder seiner Ansprechpartnerin bei der Reederei aufbauen, um über den Fortschritt des Containerschiffes über den Ozean auf dem Laufenden gehalten zu werden. Je näher der Termin rückt, desto spannender wird es für uns. Die Vorfreude, das Warten – das alles gehört dazu.
Es bereitete James auch viel Freude, auszurechnen, wie viel Regalraum er wohl für die Aufbewahrung seiner Erinnerungsstücke und Materialien benötigen würde. Lächelnd räumt er ein: „Ich musste viel ausmisten, aber ich habe all die Dinge behalten, die mir im Leben wirklich wichtig waren. Zum Beispiel sind hier alle meine Skizzenbücher versammelt – nummeriert, von eins bis 98. Ich bin froh, dass ich endlich einen Ort habe, an dem alles seinen Platz hat. Es hat Disziplin gekostet, dafür zu sorgen, dass ich nie zu viel „Zeug“ für die Anzahl der Regale habe.“ James zeigt auf das 606 und verkündet stolz, dass seine neueste Ergänzung – ein Schubladenkasten – endlich den perfekten Platz für seine Sammlung von 600 Druckbleistiften bietet.
Er greift nach einem dicken Lehrbuch von Robert Venturi mit dem Titel „Complexity and Contradiction in Architecture“. „Eigentlich hätte ich es als Architekturstudent lesen müssen, aber das habe ich nie getan. In den 1970er Jahren gab ich gegenüber Dozenten und Kommilitonen vor, es gelesen zu haben, obwohl es gar nicht stimmte. Aber dann, 1985, nahm ich das Buch mit auf meine Europareise. Schließlich las ich es auf der griechischen Insel Mykonos – und es veränderte mein ganzes Leben. Es eröffnete mir eine neue Art, über Design und Architektur nachzudenken. Wenn man bedenkt, dass ich die vorangegangenen sechs Jahre mit einem Architekturstudium verbracht hatte, ohne mir jemals die Zeit genommen zu haben, das Buch zu lesen… Es war eine wertvolle Lektion, die mir das Universum da erteilte.“