Die Verwandlung einer kalifornischen Institution
Wie Jennifer Luce das Mingei International Museum in San Diego neu gestaltete
Worte: Dr Jana Scholze
Fotos: Nic Lehoux Photography; Paul Rivera Photography; Voice of San Diego
Nach drei Jahren Schließung und sieben Jahren Umbau öffnete das Mingei International Museum in San Diego am 3. September 2021 endlich wieder seine Türen. Das Museum mag vielleicht nicht weltbekannt sein, aber es verbindet auf faszinierende Weise lokale und internationale Ansätze. Es ist ganz der „Mingei“-Philosophie gewidmet. Übersetzt bedeutet das „alltägliches Handwerk“ oder auch „Kunst des Volkes“. Das Museum präsentiert Alltagsgegenstände aus allen Kulturen und Epochen als Kunstwerke voller Zweck und Schönheit.
Martha Logeneck, eine Wissenschaftlerin aus San Diego, ist die Gründerin des Museums und war 27 Jahre lang, bis 2005, seine Leiterin. Sie lernte die Philosophie des Mingei während eines Aufenthalts in Japan kennen, als sie bei den Töpfern Shoji Hamada (1894–1978) und Tatsuzo Shimaoka (1919–2007) studierte. Hamada war einer der Handwerker, auf die der Philosoph Sōetsu Yanagi den Begriff „Mingei“ anwendete, um zu beschreiben, wie Gegenstände des täglichen Gebrauchs als Kunstwerke geschätzt werden können. Zusammen gründeten sie in den späten 1920er Jahren Mingei als philosophische Bewegung. Longenecker traf Yanagi im Jahr 1952 und war sofort fasziniert von seiner Weltanschauung. Sie begann, Objekte zu sammeln und selbst herzustellen. Um einen regelmäßigen kulturellen Austausch zu ermöglichen, gründete Longenecker 1974 eine öffentliche Einrichtung, die 1978 zum Mingei International Museum wurde. Die Sammlung des Museums umfasst Gebrauchskunst von historischen und zeitgenössischen anonymen Kunsthandwerkern und Designern aus mehr als 140 Ländern.
Die Architektin Jennifer Luce erzählt die Geschichte des Museums voller Begeisterung und Respekt. Ihr Büro, LUCE et studio, war als Architektenteam verantwortlich für die Entscheidung, das Museum nicht nur zu renovieren, sondern komplett umzugestalten. Das Büro hatte zwar Erfahrung in der Gestaltung, Renovierung und Erweiterung von Museen, aber dieses Projekt war etwas völlig anderes. Anstatt einzelne Teile des Museums zu restaurieren, analysierte das Studio zuerst die Institution als Gesamtheit, um es ganz neu zu definieren und seine Funktion und Intention im 21. Jahrhundert zu überdenken. Jennifer sagt, „Mingei ist eine sehr intelligente Antwort auf die Frage, wie wir in unserem digitalen Zeitalter mit all den schönen Gegenständen um uns herum leben können und wie wir die Dialektik zwischen diesen beiden Ansätzen besser verstehen können.“
Das Projekt begann auf eine kuriose, wenn auch nicht ungewöhnliche Art: Zuerst kam eine Anfrage für einen Vorschlag, wie der Fußboden und die Beleuchtung des Museums erneuert werden könnten. Im Gespräch schlug Jennifer vor, den Auftrag zu erweitern, um die Arbeit des Museums zugänglicher für die Öffentlichkeit zu machen. Das machte die Museumsleitung neugierig und Jennifer wurde gebeten, Vorschläge zu unterbreiten. Damit begannen Gespräche, die entscheidend zur Projektentwicklung beitrugen. Der intensive Austausch führte dazu, dass das Projekt von gegenseitigem Vertrauen und Mut geprägt war. Alle Beteiligten waren sich der Chancen des Projekts bewusst und unterstützten es aktiv. Entscheidungen wurden nicht nur vom Museumsvorstand, sondern unter Einbeziehung der Stadtgesellschaft getroffen (inklusive der Hüter und Nutzer eines benachbarten Parks). Einige dieser Entscheidungen schienen anfangs vielleicht nicht erstrebenswert, aber es wurde deutlich, dass sie absolut notwendig waren. Die Gespräche erlaubten es dem Projekt, über viele Jahre hinweg zu wachsen und nicht nur die Innen- und Außenräume des Museums zu verwandeln, sondern auch seine Ziele und sein ganzes Selbstverständnis. Obwohl das Projekt nun offiziell abgeschlossen ist, ist sich Jennifer sicher, dass „die Gespräche weitergehen und in der Art, wie das Museum seine Sammlungen präsentiert, sichtbar sein werden. Ich bin so stolz, dass alles in diesem Gebäude diesen Prozess inspirieren wird.“
Die ursprüngliche Idee für die Neugestaltung ergab sich aus der Erkenntnis, dass der Charakter des historischen Gebäudes das Museum isoliert und nach außen hin verschlossen erscheinen ließ. Es war früh klar, dass sich das Gebäude zum wunderschönen Balboa Park und zur Stadt hin öffnen musste. Ein historisches Gebäude im spanischen Kolonialstil so grundlegend zu verändern war jedoch eine große Herausforderung. Es bedurfte eines starken Konzepts, sowie großem Respekt für die Geschichte des Gebäudes und seinem Umfeld, um die verantwortlichen Behörden und die Stadtgemeinschaft für das Projekt zu gewinnen. Letztlich wurden beide zu Befürwortern und Verbündeten. Blinde Bögen und ein stillgelegter Eingang boten großes Veränderungspotential. Beide eröffneten die Möglichkeit, das Gebäude nach außen zu öffnen und Licht ins Innere zu bringen, ohne die historische Struktur zu beschädigen. Eine ungenutzte Laderampe aus den 1980er Jahren konnte sogar zu einem neuen Theatergebäude werden.
Auftragswerke von Designerinnen, die sich auf Kunsthandwerk spezialisieren, waren ein wichtiger Aspekt des architektonischen Konzepts. Die Werke waren nicht als Dekoration gedacht, sondern sollten zu einem wesentlichen Teil des Gebäudes werden. Es ist bemerkenswert, dass das Museum diese Idee trotz des hohen Kosten- und Zeitaufwands sofort annahm. Die Museumsleitung verstand, dass die Werke eine Bereicherung darstellen und das Museum tagtäglich mit Leben und kleinen Geschichten füllen würden. Um nur einige zu nennen: Die niederländische Künstlerin Claudy Jongstra schuf einen großen Wandteppich mit dem Titel „Truth and Beauty in Black“ für das Bistro; Petra Blaisse vom Studio Inside Outside entwarf einen großformatigen Vorhang für das neue Theater mit dem Titel „Sessions“; Billie Tsien gestaltete die Sitzbank der Galerie namens „East/West“. Die Begeisterung für die sorgfältig platzierten Auftragswerke führte dazu, dass sie privat finanziert werden konnten. Inzwischen sind sie Teil der Sammlung des Museums geworden.
Für Jennifer sind Möbel untrennbar mit der Architektur verbunden. Die Diskussion um die Inneneinrichtung war von Anfang an Teil des Mingei Projekts. Glücklicherweise teilten die Auftragsgeber ihre Überzeugung und den Glauben, dass Möbel Teil des Raumes und seiner Nutzung sind. Ein Tisch des amerikanischen Designers George Nakashina (1905–1995), der in der Galerie ausgestellt war aber auch benutzt und angefasst werden durfte, diente als Inspiration für die Entscheidung, dass alle Möbel im Museum zugänglich und benutzbar sein sollten, auch wenn sie als Beispiele für gutes Design Teil der Sammlung waren.
Jennifer, die während unseres Interviews neben dem 606 in ihrer Wohnung sitzt, entdeckte das Regalsystem im Jahr 2005, als sie ihre modernistische Wohnung aus den 1960er Jahren bezog. Sie wollte die Geschichte des 1962 entworfenen Gebäudes ehren und das Regalsystem von Dieter Rams war die offensichtliche Wahl. Aber erst als sie es im täglichen Gebrauch kennenlernte, verstand sie es wirklich und liebte es noch mehr. Sie empfiehl es an einige Privatkund*innen weiter, immer mit Erfolg.
Wegen der Komplexität des Auftrags war die Regalplanung für das Museum eine echte Herausforderung: Es wurden Komponenten für das Restaurant, den Museumsladen, die Bibliothek und die Büros gebraucht. Sie sagt: „Ich wollte ein klassisches Design finden und es dann sehr intensiv benutzen, so dass es die Leute neugierig machen würde und sie es wirklich verstehen könnten.“ Nun hat das Restaurant eine 606-Wand für Weinflaschen, der Museumsladen besteht aus einer Reihe von 606-Elementen und es gibt ein Regalsystem in der Kaffeebar und in jedem Büro. Aber – „der absolute Höhepunkt ist die Bibliothek. Hier staunen die Leute einfach über die Größe des Systems. Die Tatsache, dass das zentrale Element zwischen Boden und Decke verpannt ist, übersteigt fast die Vorstellungskraft. Ich denke, dass dieses wunderbar elegante System einfach Freude ausstrahlt. Es macht neugierig und die Leute reagieren oft sehr emotional darauf.“
Jennifer betont jedoch, dass es nicht ganz einfach war, die Bibliothekarin von einem Regalsystem zu überzeugen, das auch im Museumsladen und in den Büros verwendet wird. Die Pflege einer wertvollen Sammlung ist eine ziemlich komplexe, spezifische und anspruchsvolle Aufgabe, was die Skepsis gegenüber einem universellen System verständlich macht. Jennifer ist stolz darauf, dass die Bibliothekarin letztendlich von der Flexibilität und der Leichtigkeit, mit der das System ihre Arbeit unterstützt, begeistert ist, und dass es die Bibliothek derzeit zum meistbesuchten Raum im Museum macht. Es ist die Perfektion des Systems, das sie überzeugt hat.
Am Ende des Interviews sprechen wir über die sinnliche, sensorische Erfahrung des Museums – einem der wichtigsten Ziele des Projekts. Jennifer erzählt wie die Künstlerin Ann Hamilton das Museum besuchte, sich sofort dem Laden zuwandte und mit der Hand an den Regalen entlang strich. Jennifer war überrascht, erkannte aber, dass das Regal eine Art Einladung ausgesprochen hatte. Die Menschen wollen verstehen, wie und warum das Regalsystem funktioniert. Sie schlussfolgert: „Die Art und Weise, wie es seinen Raum beherrscht, grenzt für mich an Kunst. Es hat alles, was einen emotional berührt. Dieses Stück ist wirklich eine Installation.“