Leben und Arbeit in Einklang bringen
Wie Dieter & Ulrike Zipprich durch seltene und kostbare Bücher dem menschlichen Geist näherkommen
Worte und Fotos: Vitsœ
Leben und Arbeiten unter einem Dach zu vereinen, ist kein neues Konzept. Im Mittelalter war es üblich, dass die Leute ihre Waren in dem Gebäude herstellten und verkauften, das sie “Zuhause” nannten. Das änderte sich erst mit der industriellen Revolution, die mit der Fabrikarbeit eine klare Trennung zwischen Beruf und Familie herbeiführte.
Mit der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit heute wieder, was flexiblere Modelle abseits des traditionellen Arbeitsplatzes ermöglicht. Unternehmen entwickeln sich fernab von Großstädten dank des Internets, das unsere Gesellschaft grundlegend verändert hat, indem es uns modernen Nomaden online uneingeschränkten Zugriff auf unsere bevorzugten Marken, Produkte und Dienstleistungen bietet.
Bis vor Kurzem waren Ulrike und Dieter Zipprich als langjährig bekannte und geschätzte Besitzer eines Antiquariats in der Münchner Türkenstraße Vitsœs Nachbarn. Als Spezialist für seltene und schöne Bücher aus vielen Jahrhunderten verbringt Dieter sein Berufsleben damit, für Liebhaber alter Bücher Raritäten aufzuspüren. Ulrike ist ihm eine kompetente Hilfe und zudem auf einen anderen Aspekt der Buchwelt spezialisiert: das Erstellen wunderschön gestalteter Vorsatzblätter.
Auch wenn sie das geschäftige urbane Münchner Umfeld genossen, ergriffen die beiden 2018 die Möglichkeit, die ihnen das veränderte Kaufverhalten der Menschen bot, und zogen nach Bamberg – nach fast dreißig Jahren im konventionellen Einzelhandel. In der UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt, 230 Kilometer von der bayerischen Metropole entfernt, können sie ihr Geschäft weiter betreiben und gleichzeitig ihrer Leidenschaft für Spaziergänge durch die spektakuläre Landschaft nachgehen. Die historische Stadt liegt am Zusammenfluss von Regnitz und Main und erstreckt sich über sieben Hügel, die jeweils von einer wunderschönen Kirche gekrönt sind. Die Bamberger Altstadt schmückt ein romanischer Dom.
Das geräumige, moderne Haus von Ulrike und Dieter mit Blick auf die historische Kathedrale widerspricht dem engen, labyrinthischen Interieur, das man von Antiquariaten gewohnt ist. Der Kontrast zwischen Alt und Neu prägt den Raum: Wertvolle Einbände aus Pergament und Leder stehen in heller, zeitgenössischer Umgebung. Wo Lebens- und Verkaufsraum verschmelzen, gibt es auch so charmante Überraschungen wie ein barockes Cembalo zwischen den Bücherregalen, das Dieter leidenschaftlich spielt.
Dieter erzählt, was die beiden inspiriert hat, ihre neue Wohnung als Verkaufsraum zu nutzen: „Für uns war es wichtig, der Natur näherzukommen. Wir wollten an einem Ort mit direktem Zugang zu einer schönen Landschaft leben. So sehr wir München liebten, wünschten wir uns ein entspannteres Lebensgefühl. Daneben hat sich der Antiquariatsmarkt erheblich verändert, und mit den steigenden Mieten schien es uns sinnvoller, an einem einzigen Ort zu leben und Bücher zu verkaufen, statt zwei verschiedene Räumlichkeiten zu finanzieren. Wir wollten den Laden mit unserem Privatleben verbinden und beide Funktionen vereinen.“
Dieter und Ulrike wollten einen Mehrzweckbereich gestalten, der ihren Kunden einen hellen, luftigen Raum bietet, in dem sie ihre wertvollen Einkäufe abwägen können. Statt wackeliger Holzregale, die sich unter seltenen Bänden und ledergebundenen Kuriositäten biegen, wurde durchgehend das universelle Regalsystem 606 installiert, um das Stöbern angenehmer zu machen. Lächelnd sagt Dieter: „Wir alle erwarten eine gewisse angestaubte Atmosphäre in Läden, die alte Bücher verkaufen, in der alles etwas durcheinander und chaotisch wirkt. Wir wollten hingegen, dass die Bücher im Mittelpunkt stehen, indem sie vollständig zugänglich sind – ich hasse die Vorstellung, dass die Leute sich abmühen müssen, um etwas aus dem Regal zu holen. Wir wussten, dass wir etwas sehr Praktisches brauchten, um flexibel auf den Lagerbestand zu reagieren. Aber weil der Ausstellungsraum auch unser privater Raum ist, sollte der Stauraum außerdem zu den Barock- und Biedermeiermöbel drumherum passen.“
„Ulrike schlug als erste vor, die Lösung bei Vitsœ zu suchen. Nachdem wir jahrelang unser Geschäft in der Türkenstraße (in direkter Nähe des Vitsœ-Shops) betrieben hatten, war uns die Funktionsweise des Systems vertraut. Wenn es darum geht, jeden Tag mit solchen Kostbarkeiten umzugehen, ist es wichtig, sie respektvoll zu präsentieren. Deshalb haben wir unseren neuen Raum in Bamberg ohne zu zögern mit dem 606 geplant, da es auf dem Markt nichts Vergleichbares gibt.“
Dieter berichtet, dass bibliophile Besucher oft erstaunt sind, wenn sie den Zipprich-Showroom zum ersten Mal betreten: „Das Design von Rams ist so edel, dass der Kontrast zwischen den verblichenen literarischen Artefakten und den klaren Linien des Regals die Bücher tatsächlich noch schöner erscheinen lässt.“ Er zeigt lachend auf das hohe System an der angrenzenden Wand: „Wir nennen es den ‘Bücherturm’“.
Experten der Antiquariatsbranche gingen bis vor Kurzem davon aus, dass der rasant wachsende Umsatz mit digitalen E-Books den endgültigen Tod des einst sehr lukrativen Geschäfts bedeuten würde. Stattdessen gedeihen unabhängige Unternehmen wie das von Dieter und Ulrike dank eines kulturellen Wandels hin zu analogen Objekten mit handwerklichem Wert. Die neue Beliebtheit literarischer Artefakte führt dazu, dass Kunden bereit sind, nach seltenen Titeln zu suchen und sie auch außerhalb des Internets aufzuspüren. Ein Trend, dem das Paar gerne entgegenkommt – natürlich nur nach Vereinbarung.
Dieter fasst abschließend seine Überzeugung zusammen: „Bücher sind konservierte Geschichte. Ulrike und ich sind beide gleichermaßen fasziniert von dem, was wir tun, und entdecken jeden Tag etwas Neues. Bücher werden uns alle um viele Jahrhunderte überdauern. Für den Augenblick gibt uns der tägliche Kontakt mit ihnen die Möglichkeit, etwas mehr über den menschlichen Geist zu lernen und zu verstehen. Wir sind darüber sehr glücklich.“